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Mein Statement zur Tolkien 2019

Von Elyanna C. (Übersetzung von Tobias)

Das Original Statement zu Tolkien hier entlang.

Es ist mir unglaublich schwergefallen, über die von mir erlebten Anfeindungen und die Erfahrungen des Othering in Räumen, die ich lieb gewonnen hatte und die mir immer noch am Herz liegen, zu sprechen. Aus diesem Grund habe ich geschwiegen. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt.

Ich habe für mich entschieden, dass jetzt der richtige Moment gekommen ist, öffentlich über meine schlechten Erfahrungen als in Tolkien-Kreisen aktive Person of Colour zu reden und das Statement, das ich zu einem früheren Zeitpunkt verfasst habe, zu teilen.

Ich möchte, dass die Leute, die sich als Teil der breiteren Tolkien-Community verstehen, über ihre Rollen innerhalb der Räume, in denen sie sich bewegen, nachdenken. Überlegt euch, wie ihr für marginalisierte Gruppen eine bessere Umgebung schaffen könnt, damit sie auf eine sichere und inklusive Art und Weise an diesen Räumen teilhaben können.

Nehmt euch die Zeit, um zuzuhören, und bemüht euch darum, Fans of Colour Gehör zu schenken, wenn sie über ihre erlebten Erfahrungen und ihren Kummer sprechen, ganz besonders wenn sie von so etwas sehr Persönlichem wie Rassismus berichten. Kritisch auf ein vielgeliebtes Werk und die dazugehörigen Medien zu blicken, ist nicht einfach, aber wir müssen anerkennen, dass solche Kritik berechtigt ist und es verdient, ernst genommen zu werden, wenn eine ganze Gruppe von Menschen verschiedener Hintergründe betroffen ist.

Ich möchte alldem voranstellen, dass ich hier nur für mich selbst und über die Erfahrung, die ich als entschieden auftretende junge nicht-Schwarze PoC in einem überwiegend weißen Bereich gemacht habe, sprechen kann. Ich bin mir bewusst darüber, dass meine Erfahrungen mitnichten allgemeingültig sind oder so für alle PoC in Tolkien-Fankreisen gelten.

Ich bin mir ebenso darüber im Klaren, dass sich Begegnungen im echten Leben erheblich von Interaktionen in Online-Fanbereichen unterscheiden. Es gibt jedoch erschreckende Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Räumen, besonders im Hinblick auf die Umgebung für und den Umgang mit vokal auftretenden People of Colour.

Das Tragische dabei ist, dass viele Menschen gar nicht realisieren, welche Auswirkungen ihr Verhalten in Diskussionen über Rassismus hat, nicht nur auf die daran beteiligten Personen selbst, sondern auch auf die allgemeinere Haltung gegenüber Stimmen von PoC im Fandom an sich. Wir müssen sichere Umgebungen schaffen, in denen kritische Diskussionen über Diversität und Race mit denen, die davon am meisten betroffen sind, verständnisvoll geführt werden, und dafür sorgen, dass diese Personen und ihre Ansichten nicht abgewertet werden oder ihnen in Form von verbalen Mikroaggressionen die Stimme genommen wird.

Nun noch etwas mehr Kontext: Die Tolkien 2019 war eine von der Tolkien Society (der ich damals angehörte) organisierte analoge Konferenz. Die offizielle Webseite der Tolkien 2019 wurde mittlerweile offline genommen, aber die Tolkien Society stellt hier einen schönen Überblick vom August 2018 über das Event zur Verfügung.

Die Bildungsreferentin der Tolkien Society kam damals auf mich zu und fragte mich, ob ich denn möglicherweise an einer Podiumsdiskussion über die Geschichte und Zukunft der Society teilnehmen wollen würde, worauf ich in meinem eigentlichen Statement später näher eingehen werde. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, eine Bühne zu bekommen, auf der ich meiner Stimme als diverse Leserin und Konsumentin von Tolkien-Medien, die die Diversität in Tolkiens Werken als zentralen Wert in der übergeordneten Marke Tolkien betrachtete, freien Ausdruck verleihen konnte.

Als in der Diskussion das Thema der Diversität aufkam, dachte ich, dass mir als einzige nicht-weiße Person auf dem Podium die Verpflichtung zukäme, mich dazu zu äußern. Ich versuchte, kurz über die Punkte und Diskurse zu sprechen, die mir in Bezug auf die Darstellung von Diversität in Tolkien-Medien begegnet waren, und zwar so differenziert wie es mir zu der Zeit damals möglich war. Einigen meiner angeführten Punkte wurde von einigen Zuschauer*innen lautstarke Ablehnung entgegengebracht, andere reagierten mit eindeutig wahrnehmbarem Missfallen und aggressiver Körpersprache.

Das alles wurde für mich noch seltsamer, als später während des Events zwei weiße Kreativleute andeutungsweise über vage Vorstellungen von Diversität sprachen und dies mit deutlich mehr Wohlwollen aufgenommen wurde. Das erste Vorkommnis ereignete sich bei einer Podiumsdiskussion über die bald bei Amazon erscheinende Herr-der-Ringe-Serie, das zweite während eines Vortrags, der vom Vorsitz der Tolkien Society präsentiert wurde.

Ich war eingeschüchtert und sträubte mich, noch weiter am Tolkien-Fandom teilzunehmen, besonders in analogen Räumen, denn meine Erfahrungen während der Tolkien 2019 hatten meine Ängste und mein Unbehagen nur noch verstärkt und bestätigt. Die Ängste und das Unbehagen, die der Tatsache entstammten, Teil eines überwiegend weißen Fandoms mit nur wenigen sichtbaren Mitgliedern und Kreativen of Colour, die Themen wie Diversität und Rassismus sowohl in der Community als auch in den Originaltexten angingen, zu sein.

Nach diesem Event kam eine Bekanntschaft einer teilnehmenden Person auf mich zu, nahm sich netterweise die Zeit, mir zuzuhören, und schlug dann vor, dass ich ein Statement über meine Erfahrungen schreiben sollte. So viel ich weiß wurde mein Statement bisher nicht auf irgendeiner Plattform geteilt oder veröffentlicht, das hier ist also das erste Mal, dass ich in aller Öffentlichkeit über all dies rede.

Seitdem haben sich einige meiner Ansichten und Meinungen über verschiedene Aspekte des Tolkien-Fandoms und alles damit Einhergehende geändert oder weiterentwickelt, woran ich in Zukunft hoffentlich noch anknüpfen kann. Aber ich möchte nun mein ursprüngliches, unverändertes Statement, in dem sich meine unmittelbare Reaktion auf meine Erfahrungen widerspiegelt, teilen.

Ich möchte vor allem als Tolkien-Kreative und kritische Denkerin wahrgenommen werden, aber ich kann in meiner Arbeit nicht vorankommen, wenn ich nicht über meine Erfahrungen spreche, die ich in einer Umgebung gemacht habe, in der ich so viele Jahre lang durchweg Feindseligkeit erlebt habe, genauso wie viele andere in verschiedenen Tolkien-Umgebungen auch. Die Schilderung meiner Erlebnisse stellt für mich dabei nur einen Anfang dar.

Ich hoffe, dass mein Statement wohlwollend aufgenommen wird, und ich bin stets gewillt, mit anderen über meine Erfahrungen zu reden, solange dabei auch mir Wohlwollen entgegengebracht wird.

Hier mein Statement, das ich am 25. September 2019 zu Tolkien verfasst habe:

Vom 9. bis 11. August dieses Jahres habe ich an einer Konferenz teilgenommen, die von der Tolkien Society veranstaltet wurde. Die Tolkien 2019, wie sie passenderweise hieß, war als die „bisher größte von der Society abgehaltene Feierlichkeit zu Ehren Tolkiens“ beworben worden, und ich war sowohl als Podiumsteilnehmerin als auch als freie Sprecherin dabei. Das Event selbst war eine Mischung aus formellen und informellen Podiumsveranstaltungen, Vorstellungen von Arbeiten durch ausgewählte Mitglieder der Society und gesellschaftlichen Abendveranstaltungen.

Meine Einladung zur Teilnahme an der Podiumsdiskussion über die „Geschichte der Tolkien Society“ wurde als bewusste Entscheidung der Organisierenden dargestellt, um zu einer Diskussion über Diversität und Repräsentation in Tolkiens Werken hinzuleiten. Im offiziellen Programm wurde das Panel als Diskussion bezüglich der Frage beschrieben, „was aus der Tolkien Society und dem Tolkien-Fandom im Allgemeinen werden könnte im Angesicht von digitalen Räumen, Aspekten der Diversität und Repräsentation, wissenschaftlichen Interessen und einer Vielzahl anderer Faktoren, die unsere gelebten Erfahrungen in der heutigen Zeit bestimmen.“

Auch wenn ich in den Wochen und Tagen vor dem Event positiv aufgeregt und gespannt war, haben sich diese Gefühle schnell in Furcht verwandelt, als ich zwischen den anderen Podiumsteilnehmer*innen Platz nahm und mir der Ton und das Klima der Diskussion bewusst wurde. Bei den anderen fünf Teilnehmer*innen handelte es sich um erfahrene Tolkien-Gelehrte, alteingesessene Mitglieder der Society und ein Mitglied, das innerhalb der Society eine Führungsposition einnahm. Unter den Podiumsteilnehmer*innen war ich die einzige, die als nicht-weiß gelesen wurde. Um genau zu sein, war ich eine von drei Personen, die in einem Raum von etwa fünfzig oder sechzig Menschen als nicht-weiß gelesen wurden.

Es dauerte nicht lange, bis mir das wahre Motiv bewusste wurde, mich – ein junges, neues Mitglied der Society, das sich alleine schon durch die angebotene Möglichkeit zur Teilnahme fehl am Platz und sich der Sache nicht gewachsen fühlte – in ein Panel mit in meinen Augen erfahreneren Mitgliedern der Society aufzunehmen.

Als die moderierende Person das Gespräch auf das Thema Diversität und Repräsentation im Tolkien-Fandom lenkte, sah ich das als Möglichkeit, meine Erfahrungen als junge Tolkien-Begeisterte, die alles rund um Tolkien hauptsächlich über das Internet konsumierte, zu teilen. Ebenso war das für mich eine Gelegenheit, um auf einige Beobachtungen aufmerksam zu machen, etwa darauf, dass Peter Jacksons Filmtrilogie einen massiven Einfluss auf die aktuelle popkulturelle Rezeption von Tolkien-Werken hat, sie wenn nicht sogar gänzlich bestimmt, oder dass die Probleme, die dieser Rezeption inhärent anhaften, von den filmischen Interpretationen aus in die allgemeine Wahrnehmung der Marke Tolkien Einzug halten.

Einer der Themenpunkte, der anscheinend für am meisten Aufruhr und Widerspruch sorgte, war mein Hinweis darauf, dass Tolkien Sams Hände an zwei Stellen als „braun“ beschreibt – zuerst in „Die zwei Türme“, dann wieder in „Die Rückkehr des Königs“ – und wie das filmisch sowohl buchstäblich als auch symbolisch umgesetzt wurde. Ersteres ist in Ralph Bakshis „Der Herr der Ringe“ aus dem Jahr 1978 zu sehen, worin Sam ethnisch uneindeutiger als die anderen Hobbits dargestellt wird, was ich als bewusste Entscheidung bezeichnete. Die zweite Interpretation findet sich in Peter Jacksons Trilogie aus den frühen 2000ern, in der die Beschreibung symbolisch verstanden und der weiße US-amerikanische Schauspieler Sean Astin in der Rolle besetzt wurde.

Die Reaktionen, die mir entgegenschlugen, waren in Anbetracht der Ansichten, die ich vorbrachte, meiner Meinung nach völlig überzogen. Ich sah, wie Mitglieder missbilligend das Gesicht verzogen und vor sich hin grummelten, einige schüttelten mir gegenüber den Kopf – und das obwohl ich noch einmal unterstrich, dass ich beide Interpretationen als gleichermaßen gerechtfertigt empfand. Das war für mich eine Art Schutzmechanismus im Angesicht einer solch aggressiven Reaktion auf eine meiner Meinung nach harmlose Beobachtung einer jungen Person of Colour, die in Tolkiens Werken nur wenige Darstellungen von PoC wiedergefunden hatte.

Kommentare wie etwa „Es ist mir egal, mit wem sie die Rolle von Sam besetzen, ob schwarz, braun, gelb, blau oder grün!“ und „Tolkiens Botschaft ist allgemeingültig, ich verstehe nicht, was „Race“ damit zu tun hat!“ wurden mir zwischen meinen Ausführungen entgegengebrüllt, und noch so vieles mehr. Sie versuchten, meine Arbeit herabzuwürdigen – all die Arbeit, die ich in der Hoffnung leistete, einen offenen Austausch anzustoßen über die fehlende Diversität in Tolkien-Adaptionen sowie darüber, wie dadurch unsere Wahrnehmung der übergeordneten Marke, vielleicht sogar des Fantasy-Genres an sich, beeinflusst wurde.

Unter den Themenpunkten, die ich noch ansprach, war die Tatsache, dass Peter Jacksons Interpretation der Ostlinge (die in den Filmen als nordafrikanisch oder mittelöstlich kodifiziert wurden) schrecklich orientalistisch ist und im Nachgang des 11. Septembers mehr als schädlich war. Ebenso ging ich noch darauf ein, dass Tolkiens vage Beschreibungen bestimmter Charaktere und Völkergruppen als ethnische Kodifizierung interpretiert werden können oder eventuell Andeutungen auf einen diverseren Cast zulassen, im Gegensatz zu dem, was die Marke Tolkien uns vermuten lässt. Ich wiederholte, dass es in der Verantwortung der Konsument*innen von Tolkien und den dazugehörigen Medien liegt, verschiedene Interpretationen des Textes einzufordern, um so die Wahrnehmung aufzubrechen, dass Tolkiens Werke ausschließlich auf die anglo- oder eurozentrische Sichtweise beschränkt seien, dass für People of Colour kein Platz sei in der weitläufigen Welt, die er meiner Meinung nach als Liebeserklärung an seine eigene Welt geschaffen hat.

Es fällt mir einen Monat später immer noch schwer, genau zu begreifen, was ich während der Konferenz erlebt habe. Und es fällt mir noch viel schwerer, dies alles hier in Worte zu fassen. Aber wenn es einen Gedanken gibt, mit dem ich dies hier abschließen wollen würde, wäre es wohl Folgendes: Es ging mir nie darum, Tolkiens Werke zu ändern, sondern seinen vor kolonialistischen Artefakten strotzenden Text aus dem 20. Jahrhundert neu zu interpretieren und die Grundlagen seines Werks aus der Sichtweise des 21. Jahrhunderts heraus neuzudenken, in dem Versuch, die in der Popkultur vorherrschende Interpretation seiner Werke zu entkolonialisieren.

Die Art und Weise zu ändern, wie wir die Marke Tolkien lesen, schreiben und darstellen, bedeutet eine grundlegende Umgestaltung des gesamten Fantasy-Genres, das so signifikant von Tolkiens Werken und der globalen Marke Tolkien geprägt wurde und immer noch davon geprägt wird.

Ende.


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