Kurzgeschichte, Phantastik

Die Begleiterin der Nacht

Heute kriegt ihr einmal was anderes zu lesen! Ich habe seit ein paar Tagen einen kleinen Wettbewerb mit dem Netten Hans bzw. G.MORI auf Twitter. Seine Geschichte findet ihr HIER. Wir haben uns mithilfe der von F.B. Knauder entwickelten Karten eine Kurzgeschichtenchallenge überlegt. Und hier könnt IHR die Ergbenisse sehen! Folgt meinem Grafen in sein Abenteuer!

Bilder werden von oben links nach unten rechts verwendet


Es war einmal ein düster-finsterer Graf. Dieser Graf lebte in einem immensen Anwesen. Es war alt und düster. Ein Großteil der Wände war mit Efeu zugewuchert. Nur die Fenster wurden regelmäßig von dem Gestrüpp befreit. Er war groß gewachsen und sehr schmal. Seine Haut sah so aus, als hätte sie noch nie das Sonnenlicht gesehen. Tagsüber verschwand er in seinen Gemächern. Was er dort trieb, konnte niemand so genau sagen. Nur die Bediensteten durften sich innerhalb des Anwesens aufhalten. Aber nur tagsüber. Nachts mussten sie in ihren Unterkünften bleiben. Denn nachts trieb es ihn durch die Flure und Zimmer seines großen Anwesens. Er schlich von Korridor zu Korridor, von Zimmer zu Zimmer. Allein. Niemand in der angrenzenden Stadt konnte sich daran erinnern, den sonderbaren Grafen je gesehen zu haben. Aber man erzählte sich Geschichten. Legenden sogar. Es hieß, er würde schon seit mehreren Generationen ganz alleine in seinem Schloss verweilen. Nur manchmal, wenn man ganz genau hinsah, konnte man einen düsteren Umriss auf einem der Balkone erkennen. Und wenn man es wagte zu blinzeln, verschwand der Umriss auch wieder.
Eines Nachts, als das Gefühl der Einsamkeit den Grafen wieder besonders plagte, beschloss er, die Situation zu ändern. Er ließ sich von einem Bediensteten eine Katze besorgen. Sie sollen nachtaktiv sein, hatte er sich sagen lassen. Und sehr selbstständig. Sie würde sich also schon beschäftigen können, wenn er das Anwesen für einen seiner nächtlichen Ausflüge verlassen musste. Außerdem hatten Katzen neun Leben. Sie könnte ihm also sehr lange Gesellschaft leisten. In seinem Kopf malte der Graf sich schon wunderschöne, ruhelose Nächte, mit seiner Begleiterin der Nacht aus. Ein Bediensteter kam ehrfürchtig mit einer Frau aus der nahegelegenen Stadt herein. Sie hielt eine Katze in den Armen, welche sie ihm schnell überreichte. Die Katze schnurrte und leckte dem Grafen mit der rauen Zunge über die Nasenspitze.
Der Bedienstete stand noch immer vor ihm. Er wartete. »Achso. Jaja. Dein Brot kannst du dir in der Küche bei Greta abholen. Sie weiß Bescheid.« Der Graf machte eine abweisende Handbewegung, die dem Bediensteten zeigen sollte, dass er nicht weiter benötigt wurde.
Der Bedienstete richtete seine Augenklappe und verließ mit der Frau das Zimmer. Sie folgten den angenehmen Düften der Küche. Wie versprochen wartete Greta dort mit einem ganzen Laib Brot auf ihn und seine Begleiterin. Man wechselte die üblichen netten Worte, ehe man sich verabschiedete. Der Bedienstete brachte die Frau mit dem Brot zu den großen, schweren Toren des Anwesens. Sie ging mit beschwingten Schritten nach Hause. Die nächsten Tage würde ihre Familie sich keine Sorgen mehr um das Essen machen müssen. Das schwere Holztor wurde mit einem lauten Krachen hinter der Frau zugezogen.
In dieser Nacht streunte der Graf zum ersten Mal mit seiner Begleiterin durch die Hallen und Flure seines Anwesens. Die Katze betrachtete alles sehr genau. Plötzlich weiteten sich ihre Pupillen und sie rannte wie wild von einer Seite des Ganges zur anderen. Vor einer dicken Holztür blieb sie stehen. Das Maunzen wurde lauter und lauter. Sie fuhr die Krallen aus und kratzte an dem alten Holz. »Ja ja. Ist ja schon gut. Ich lasse dich den Rest des Schlosses begutachten!« Der Graf öffnete die Tür, woraufhin seine Begleiterin wie ein Pfeil hindurch schoss und weiter rannte.
Besorgt folgte der Graf ihr. Sie war blitzschnell davon gerannt. Inmitten eines Gangs blieb er stehen und rührte sich nicht mehr. Der Graf war wie versteinert. Erst sah er den dunklen Umriss verwundert an, doch dann erkannte er eine kleine Zwergengestalt, welche die Katze gerade mit einer eiligen Handbewegung in seinen mitgebrachten Beutel beförderte. Er warf sich seinen Beutel über den Rücken und sah ertappt zu der großgewachsenen Gestalt, die nun vor ihm stand. Mit großen Augen sah der Graf den Zwerg an. Zuerst erstaunt darüber, was er soeben beobachtet hatte, dann mit wachsendem Zorn. Mit tiefer und dunkler Stimme fragte er: »Du wagst es … Du WAGST es mich zu bestehlen? Du traust dich, mir meine Begleiterin der Nacht zu rauben?« Der Zwerg schluckte nervös und ließ den Beutel zu Boden fallen. Es klimperte und klirrte, als dieser auf dem Boden aufschlug. Die Katze schoss aus dem Sack und riss dabei noch ein paar andere Wertgegenstände mit sich. Der Graf ließ seinen Blick kurz über die Sachen wandern, die nun ausgebreitet vor ihm auf dem Boden lagen.
Der Graf schloss langsam die Augen. Eine dunkle Rauchwolke bildete sich um seine Füße. Sie wuchs und bedeckte Zentimeter für Zentimeter seinen Körper, bis sie seine Gestalt komplett verbarg. Man konnte das Rascheln von Kleidung und das knacken von Knochen hören. Eine gefühlte Ewigkeit später verzog der Rauch sich langsam. Er glitt den Körper des Grafs hinunter und verteilte sich um seine Füße, wie eine Wasserpfütze. Der Zwerg ließ einen erstickten Schrei hören. Die Katze hatte einen Buckel gemacht und das Fell im Nacken hatte sich aufgestellt. Sie fauchte den Zwerg an, welcher sie zuvor noch in den Sack gestopft hatte.
Der Graf sah den Zwerg aus seinen vollkommen schwarzen Augen an. Seine Haut war noch blasser und durchscheinender geworden. Somit konnte man die blauen Adern genau erkennen, welche seine Wangen und den Hals durchzogen. Spitz zulaufende Knochen traten aus seiner Stirn hervor. Sie waren eingedreht und zeigten mit den Spitzen zueinander.
Der Graf ließ ein tiefes und bedrohliches Fauchen hören, ehe er sich in Windeseile auf den Zwerg stürzte, welcher nur noch einen weiteren, halb erstickten Schrei loslassen konnte, bevor dieser durch gurgelnde Geräusche abgelöst wurde. Der Zwerg sackte auf dem Boden vor dem Grafen zusammen. Er rührte sich nicht mehr. Die Katze fauchte noch einmal, ehe sie sich wieder beruhigte. Der Graf tupfte mit der Spitze seines Ärmels über seine Lippen. Der Rauch umgab seine Füße wieder. Genauso langsam wie zu vor begann der Rauch den Grafen einzuhüllen. Von unten nach oben. Das Knacken war wieder laut und deutlich zu hören. Der Graf nahm wieder seine normale Gestalt an. Danach wirkte es so, als wäre nie etwas geschehen und die beiden gingen weiter ihren Weg und genossen gemeinsam die Nacht.
Die Bediensteten fanden am nächsten Morgen die Leiche des Zwerges. Er lag wie ein Haufen Müll auf dem Boden. Ein paar der jungen Angestellten wollten den Körper gerade hoch wuchten, als ihnen auffiel, dass der Zwerg so leicht wie eine Feder war. Was sie zuvor für einen Körper gehalten hatten, war die Leere Hülle des Zwerges. Die einzigen Überreste, die der Graf am Abend zuvor zurückgelassen hatte. Nach diesem Tag hielten die Angestellten des Grafen besonders viel Abstand zu ihm und achteten besonderes darauf, des Nachts nicht mehr außerhalb ihrer Unterkünften herum zu irren.

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