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Tolkien antirassistisch? Twitter-Thread von Dr. Helen Young (@heyouonline) vom 22. Juni 2020

Das Original findet ihr hier. Die Übersetzung habe ich von Tobias bekommen! Vielen Dank dafür. Tolkien wird immer wieder für sein Worldbuilding gefeiert. Man geht soweit zu sagen, dass er antirassistisch ist, dabei muss man beachten, dass sein Worldbuilding auf rassistischen Stereotypen aufbaut. Und damit starten wir auch schon in den Beitrag:

In Tolkiens Mittelerde existieren biologische Rassen . Sie sind ein struktureller Teil der ganzen Kosmologie. Tolkien war zwar gegen die Nazis, doch das bedeutet NICHT, dass er auch antirassistisch war.

Das bekannteste „antirassistische“ Zitat von Tolkien beweist eigentlich, dass er vollkommen an das Konzept Rasse glaubte. 1941 schrieb er in einem Brief an seinen Sohn Michael, dass er einen „persönlichen Groll“ gegen Hitler hegte, da er „die seit jeher von mir verehrte noble nordische Wesensart – ein herausragender Beitrag zu Europa – ruiniert, verdorben, missbraucht und für alle Zeit verflucht hat.“ In demselben Brief schrieb er, dass „dem „germanischen“ Ideal mehr Kraft (und Wahrheit) innewohnt als ignorante Menschen darin vermuten.“

Tolkien und Hitler teilten also denselben Glauben: Dass sogenannte germanische Menschen von Natur aus anders waren als andere Menschen (auch als andere Europäer*innen) UND dass sie bessere Dinge vollbracht haben – einen „herausragenden Beitrag“ geleistet haben. Das ist wortwörtlich eine Definition von Rassismus.

Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass es in vielerlei Hinsicht gar nicht darauf ankommt, an was Tolkien geglaubt hat, wenn Rassismus und das Konzept Rasse Fundamente der von ihm geschaffenen Fantasy-Welt darstellen. Das sind buchstäblich rassistische Fantasien, die auch von Anhängern der White Supremacy schon seit den 90ern aktiv für die Rekrutierung ausgenutzt werden.

Tolkiens Vorstellungen von Rassen wurden von seiner wissenschaftlichen Forschung beeinflusst – er bekam sie nicht aus dem luftleeren Raum.

Wir können nicht einfach behaupten, Tolkien sei antirassistisch gewesen, nur weil wir möchten, dass es so gewesen ist. Das hat einen schädigenden Effekt, denn damit wird die Realität geleugnet und die Messlatte für Antirassismus so tief angesetzt, dass sie sich quasi unter dem Erdboden befindet.

Jedoch bedeutet das nicht, dass wir Tolkien den White Supremacists überlassen oder sie ihn einfach für sich beanspruchen dürfen. Es ist völlig klar, dass er Neonazis und ihresgleichen genauso viel Verachtung entgegengebracht hätte wie Hitler. Aber Antiextremismus ist nicht dasselbe wie Antirassismus.

Indem man so tut, als sei Tolkien antirassistisch gewesen, ermöglicht man es dem nicht-extremistischen weißen Fandom, vorzugeben, dass es nicht rassistisch sei (Spoiler: Ist es doch.) Man kann Tolkien und das von ihm erschaffene Mittelerde lieben und antirassistisch sein, aber dafür ist ein bewusst geleisteter Aufwand erforderlich. Anzuerkennen, dass beides rassistisch ist, ist nur ein Anfang.

Die Behauptung, dass Tolkien antirassistisch gewesen sei, trägt auch dazu bei, dass die erlebten Erfahrungen von Fans of Colour geleugnet und ignoriert werden. Für PoC wirkt das Fandom dadurch weniger einladend. Behauptet das also bitte nicht.

Der Mittelerde prägende Rassismus prägte auch andere Fantasy-Konventionen. Und noch einmal, man kann sich dem widersetzen, doch dazu bedarf es der Anerkennung und bewusst geleisteter Arbeit. Und ja, ich habe ein Buch darüber geschrieben.

Es ist sehr vielen daran gelegen, zu behaupten, dass Tolkien und Mittelerde nicht rassistisch seien – der weißen Mainstream-Presse, dem Fandom, Wissenschaftler*innen und anderen Menschen aus der Fantasy. Googlet man nach Tolkien und Rassismus findet man dahingehend eine ganze Menge. Weiße Privilegien und Weiße Zerbrechlichkeit spielen hier eine Rolle.

Privilegien in dem Sinne, dass weiße Menschen es gewohnt sind, Race und Rassifizierung nicht „sehen“ zu müssen, um in unseren rassistischen Gesellschaften zu überleben. Weiße Menschen sehen es in diesem Sinne also auch nicht als erforderlich an, zu betrachten, wie Rassismus durch Popkultur untermauert wird.

Weiße Zerbrechlichkeit in dem Sinne, dass die Reaktion auf nur die leiseste Andeutung von Kritik in einer Abwehrhaltung resultiert. Weiße Menschen nehmen es persönlich, wenn ihre Lieblinge kritisiert werden. Sie kommen nicht mit dem Gedanken klar, etwas Rassistisches zu mögen.

Quasi: „Wenn ich etwas Rassistisches mag, dann bin ich ja vielleicht auch rassistisch. Aber ich bin ja nicht rassistisch, also kann das, was ich mag, auch nicht rassistisch sein.“ Das ist die Weiterführung davon, dass so viele weiße Menschen denken, als rassistisch bezeichnet zu werden sei schlimmer, als tatsächlich rassistisch zu sein.

Und ja, ich weiß darüber Bescheid, weil ich auch so gedacht/empfunden habe. Ich liebe Der Herr der Ringe, lese die Bücher jedes Jahr. WOLLTE NICHT WAHRHABEN, dass sie rassistisch sind. Aber dann informierte ich mich über Rassismus, las HdR noch mal und konnte es seitdem nicht mehr ungesehen machen. Ich kann das alles immer noch lieben, aber ich weiß auch, was es ist, nämlich: RASSISTISCH.

Popkultur, und nicht nur Tolkien, aber AUF JEDEN FALL er auch, wird als Mittel verwendet, um extremistische Ideen in den Mainstream einzuschleusen und Sympathien und Zustimmung für diese Ideen zu erzeugen.

Extremisten machen vielleicht mit „Wir lieben Tolkien“ den Anfang, wodurch Nicht-Extremisten, die Tolkien ebenfalls mögen, eine Verbundenheit empfinden. Von da an können extremistische Interpretationen vorgebracht werden (was mit Tolkien nicht besonders schwer ist aufgrund des erwähnten Rassismus in Der Herr der Ringe).

Im Fall von Tolkien könnte man dann anführen, dass Der Herr der Ringe aussagt, dass die Menschen aus Gondor „minderwertiger“ geworden seien, als sie sich mit den „niedereren Menschenrassen“ gepaart hätten. Klingt für mich sehr doll nach einer rassistischen Theorie der „Rassenmischung“!

Einige können diese Lesart erkennen und widersetzen sich ihr, andere jedoch nicht. Auf diese Weise können extremistische Ideen in Umgebungen getragen werden, in denen die Menschen vergleichsweise empfänglich sind dafür, denn „wir mögen ja die gleichen Dinge.“

Rassistische Popkultur leistet Rassisten Vorschub. Sie öffnet die Tür für Extremisten. Wir können sie wieder rausschmeißen, doch dafür bedarf es Arbeit und Wissen und Anerkennung. Aber vor allem anderen MÜSSEN WIR PoC ZUHÖREN, UND GANZ BESONDERS DEN PoC, DIE EXPERT*INNEN FÜR ANTIRASSISTISCHE ARBEIT SIND.

Ich befinde mich in der als Australien bekannten Kolonie, also gibt es hier eine entsprechende Einführungsliste mit antirassistischen Büchern. Sagt eurer örtlichen Bibliothek, dass sie sie bestellen sollen, falls ihr nicht über die Mittel verfügt. Dann leiht sie und lest sie.


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